Ankommen lassen

23.06.2007

Als Bewohner einer touristisch sehens- und besuchenswerten Stadt kenne ich beide Seite = die Seite des Ureinwohners, der von den herangekarrten Reisenden als regionale Skurrilität betrachtet wird. Natürlich war ich bereits selbst in fremden Landen unterwegs und habe mir die Einheimischen ferner Gestade betrachtet. Wobei ich immer versucht habe, das Leben jenseits der für den Tourismus bereitgestellten Kulissen zu entdecken.

Ich kann mich noch gut an eine Reise nach Tunesien erinnern. Weil das Bahnfahren dort etwa nur ein Zehntel dessen kostete, was man in klimatisierten Touri-Reisebussen für die gleiche Strecke verlangte, sind wir dort viel auf den Schienenwegen unterwegs gewesen. Einmal wurden wir vom Zugpersonal freudig mit einem Gratisgetänk begrüßt, weil Deutsche in einem tunesischen Zug einer mittleren Sensation gleichkamen. Dabei müssen tausende Deutsche jährlich dorthin fahren. Aber Bahnhöfe werden implizit als No-Go-Areas für Europäer angesehen. Vielleicht auch beabsichtigt: In Reisebussen kann man den Besucherstrom besser lenken und ihnen völlig überzogene Tarife abknöpfen.

In Deutschland muß es bis voriges Jahr ähnlich gewesen sein. Nur Eingeborene in den Zügen - keine Zugereisten und schon gar keine Zug-Gereisten. Seit der Autokorso-WM im Jahr 2006 möchte die Deutschen Bahn eine Stückchen vom fetten Kuchen der Touristen-Beförderung abbekommen. Seitdem werden die Zugdurchsagen nicht nur in brummeligem Deutsch (häufig mit starker Dialektfärbung) sondern auch in einer sehr Englisch klingenden Sprache durchgegeben.

Ich frage mich, ob sich diese Durchsagen wirklich der Informationsweitergabe dienen. Meistens denke ich dabei an die "Sendung mit der Maus". Die Anfangsansage dieser Sendung wird/wurde zuerst auf Deutsch und dann einer anderen Sprache über den Äther gejagt. Die zweite Ansage hat zwar niemand verstanden, aber sie war immer sehr belusitigend. So lustig, daß diese Form der Wiederholung später häufig kolportiert wurde: "Liebe Kinder, Smørebrød, Smørebrød - das war dänisch äh dämlich."

So Maus-Sendungs-ähnlich klingen auch die zweiten Durchsagen in den deutschen Zügen. Selbst wenn das Personal der Deutschen Bahn nur Latein (wahlweise Russisch) als zweite Fremdsprache beherrscht, könnte man denen die entsprechenden Durchsagen als fertige Textbausteine vorgeben. So gar viele Texte sind es nicht "Als nächstes erreichen wir Bahnhof XYZ" = würde vollkommen genügen. Aber solche Vorgaben macht man aber nicht. Stattdessen läßt man den Zugbegleitern ihren selbstübersetzten Text zusammenstottern.

Neulich wollte es ein Schaffner besonders richtig machen und teilte den verdutzten Reisenden mit: "Next stop we will be arrived in Erfurt." Das geradlinige Futur I (dt: einfache Zukunft) "We will arrive" (dt: Wir werden ankommen) war ihm wohl zu einfach. Stattdessen wählte er das Futur 1 in der passiven Variante.

Zu Vergleich: Es gibt im englischen die Zeitform Futur 2 (dt: vollendete Zukunft). Der vorliegende Satz in dieser Form so aussehen "we will have arrived" (dt: Wir werden angekommen sein). In beiden Sprachen werden solche Formulierungen relativ selten verwendet, sind aber richtig und verständlich.

Verwendung fand aber in jener Ansprache das Passiv, also die sprachliche Variante, wenn man ausdrücken möchte, daß das Subjekt des Satzes nicht selbst aktiv ist, sondern etwas mit ihm geschieht. Die passive Form von "arrive" (dt. ankommen) klingt dagegen etwas eigenartig "we were arrived" (dt: Wir sind angekommen worden) oder wenn das Ereignis in der Zukunft liegt "we will be arrived" (dt: Wir werden angekommen worden sein). (Gibt es dieses Zusammenwürfeln mehrerer Hilfsverben außer in Deutsch auch noch in anderen Sprachen?)

Bei genauer Betrachtung bin ich zu dem Schluß gekommen, daß die Zeitform "Passiv Future" in Verbindung mit Zugreisen durchaus Sinn macht. Schließlich ist der normale Reisende einer höheren Gewalt untergeordnet - besser gesagt höheren Gewalten in der Hierarchie Lokführer, Stellwerksbediener, Zugführungsoftwareentwickler .... Bahnchef Mehdorn ... . Erst wenn all diese Gewalten im Zusammenspiel dem Zug die Möglichkeit des Ankommens einräumen, wird dieser tatsächlich den Bahnhof erreichen. Dem Reisenden bleibt hier wirklich nur eine völlig passive Rolle.

"Liebe Reisende! Merkur - dem Gott der Reisenden und Umtriebigen - und seines Stellvertreters auf Erden - dem höchsten Stellwerker und Bahnchef Hartmut Mehdorn - zum Dank. werden sie in wenigen Minuten in Erfurt angekommen worden sein." Kaum ein Zugbegleiter könnte diesen Satz in korrektem Deutsch wiedergeben. Kaum vorstellbar, wenn er davon seine englische Variante zum Besten geben würde.


Damit bin am Ende dieses Textes angekommen (aktiv) und haben den Leser - also sie oder dich - ankommen lassen (passiv).