Die rote Ampel

08.05.2007

Es gibt sicherlich viele Dinge, die in Deutschland gänzlich anders laufen als im Rest der Welt. Eine Sache ist mir ganz gravierend aufgefallen. Es sind die Fußgängerampeln. Genauer gesagt sind es nicht die Ampeln sondern die Art und Weise, wie diese Lichtzeichen von den Fußgängern berücksichtigt werden.

Wer als Deutscher schon mal im Ausland war (das trifft sicherlich für viele zu) und sich dort aus dem geschützten Umfeld der Touristen-Hotelkomplexe auf Straße und unter die "Ureinwohner" gemischt hat (das sind vermutlich nicht so viele), dem wird aufgefallen sein, daß die Menschen im Ausland zwar Ampeln kennen aber selten beachten. Die gehen über die Straße, wenn die Fahrbahn frei ist - sogar wenn die Ampel rot zeigt. Dieses ungeheuerliche Verhalten findet man nicht nur im chaotischen Straßenverkehr Italiens sondern auch im reservierten England. Ehrlich gesagt, kann ich mich an kein Land errinnern, wo Menschen - bei freier Straße - an einer roten Ampel stehen geblieben sind. Ich bin zwar beileibe noch nicht überall gewesen aber doch schon etwas herumgekommen auf diesem Planet.

Auf die Frage "Warum sollte an einer roten Ampel warten?" wird das Thema (Verkehrs-)Sicherheit angeführt. Das klingt erstmal plausibel. Rein statistisch betrachtet, reduziert eine Ampel die Anzahl der Verkehrsunfälle. Sie kanalisiert den Verkehr und vermeidet durch die zeitliche Wechsel der Verkehrsflüsse mögliche Überschneidungen. In der Unfall-Statistik wirkt sich das positiv aus, aber welchen Effekt hat das auf das Risiko für den Einzelnen?

Welche Sicherheit bietet eine Ampel wirklich? Wenn man es genau betrachtet, dann muß die ehrliche Antwort "keine" lauten. Wo sollte die Sicherheit herkommen? Die Ampel ist nur ein technisches Gerät, bei dem Lämpchen nach einer Uhr an und ausgeschaltet werden. Mit der realen Verkehrsituation hat das rein gar nichts zu tun.


Gut, es gibt fortschrittliche Modelle, die über Induktionsschleifen in der Fahrbahn zumindest wartende Autos registrieren - aber eben Autos, keine Fußgänger. Bei vielen Fußgängerampeln gibt es zwar "Bedarfstaster", die man - bei Bedarf (und den hat man, wenn man an der Ampel steht) - drücken kann. Ich vermute aber, daß diese Schalter in meisten Fällen nur das Zeichen "Signal kommt" aktivieren. Auf die farbigen Lichter hat das keinen Einfluß. Wenn doch, dann wird dieses Bedarfs-Signal für die Ampel-Elektronik eher den Charakter einer Empfehlung.


Also: Selbst wenn sich manche Ampeln ansatzweise nach der Verkehrssituation richten, so bieten sie trotzdem keine Sicherheit für die Personen, die sich nach der Ampel richten. Sie warnen keinen Fußgänger, wenn sich ein Auto mit hoher Geschwindigkeit nähert. Genausogut schalten sie den Autoverkehr auf Grün selbst wenn sich noch Fußgänger auf der Fahrbahn befinden.

Was heißt das für den Verkehrsteilnehmer? Effektiv kann er sich nicht auf das Ampelsignal verlassen. Er kann sich zwar daran orientieren, aber er muß trotzdem die Verkehrsituation berücksichtigen. Wenn sich ein Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit nähert, dann sollte er trotz grünem Licht besser nicht auf die Fahrbahn treten. Die Ampel würde den drohenden Verkehrunfall weder verhindern noch für dessen Folgen geradestehen. Auch die Betreiber der Ampel könnte man nicht zur Rechenschaft ziehen. Die einzelne Person muß an der grünen Ampel genauso aufmerksam die Verkehrslage prüfen, als ob keine Ampel da wäre. Alles andere wäre Leichtsinn (den zugegeben viele Menschen begehen).

Wenn also das grüne Licht nur eine Empfehlung ist, wie sieht es mit dem roten Licht aus? Schätzt man die Verkehrlage als sicher ein, warum sollte man bei roter Ampel die Straße nicht überqueren? Man kann natürlich die zwei bis drei Minuten bis zum grünen Licht warten, wenn man will. Letztendlich kann sich die Wartezeit an den Ampel im Laufe eines Lebens zu einer betächtlichen Zeitspanne aufsummieren. Es gibt schöner Dinge im Leben zu erleben als eine Ampel. Wohlgemerkt: Es geht hier nicht um das blinde Loslaufen. Die Aufgabe lautet: Umsehen und wenn keine Gefahr besteht, dann die Straße überqueren! Schließlich möchte man die Dauer des Lebens nicht unnötig verkürzen, was sämtliche unnötige Ampelwartezeiten mehr als rauben würde.

Als weiteres Argument, warum man an einer roten Ampel stehen bleiben sollte, wird gerne die Beispielwirkung für Kinder angeführt. Hat sich dabei jemand Gedanken gemacht, welches Beispiel wir den Kindern zeigen? Bleiben wir stehen, spielen wir den Kindern - im Prinzip - vor, daß die Ampel Sicherheit bietet. die Sicherheit ist, die wie schon erwähnt, trügerisch. Sicherlich können kleine Kinder die Verkehrslage noch nicht zuverlässig einschätzen. Aber dann müssen sie es lernen und zwar so schnell wie möglich. Wer zeigt ein schlechtes Beispiel? Ist es derjenige, der die Aufmerksamkeit des Kind auf die Ampel richtet oder derjenige, der den Fokus auf das ankommende Auto richtet. Man könnte es auch krasser ausdrücken: Die Gefahr geht nicht von der Ampel aus sondern vom heranfahrenden Auto. Man sollte die Gefahrenquelle im Blick haben.

Abgesehen davon, daß die Kinder in der globalisierten Welt bei ihrer ersten Auslands-Urlaubsreise bereits an der ersten Ampel im fremden Land einen Kulturschock erleben könnten, sollte ihnen Blick auf die Gefahren ausrichten und nicht auf bunte Lichter

Zurück zum Ausgangspunkt: Warum bleiben ausgerechnet die Deutschen an der roten Ampel stehen? Hier könnte man das Wörtchen "Obrigkeitshörigkeit" hervorzaubern. Schließlich ist die Ampel gewissermaßen ein Vertreter der staatlichen Ordnung und besitzt - obwohl sie nur eine technische Installation ist - eine gewisse Autorität. Nun gut, man gesteht ihr diese Autorität zu.

Hier zeigt sich der Kernpunkt: Autorität allein genügt nicht, wenn damit keine Verantwortung verbunden ist. Es ist nunmal so: Die Ampel übernimmt keine Verantwortung - kann und soll sie auch gar nicht. Die Verantwortung bleibt beim Verkehrsteilnehmer. Er kann sie nicht weiterdelegieren an eine "übergeordnete" Stelle. Das macht man in Deutschland sehr gern: Verantwortung nach oben weitergeben. Es ist ja einfach, denn muß man sich nicht selbst um die Sachen kümmern. Aber das Beispiel der grünen Ampel zeigt, daß man diese Verantwortung nicht von oben bekommt. In dem Zusammenhang macht es Sinn, die "Autorität" der roten Ampel nicht als absolut zu sehen.