Mitreden können

03.02.2008


Bild:Alf der Außerirdische
Zu meiner Jungedzeit war Fernsehen das wichtigste Schulhofthema - genauer gesagt das Westfernsehen, aber das West- ist hier ohne weiteren Belang. Mit Westfernsehen meine ich die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ARD und ZDF. Als die privaten Sender an den Start gingen, war meine Schulzeit gerade beendet und und wenig später endete auch der Kontext des Begriffs "Westfernsehen". Denn im vereinigten Deutschland muß man keine Repressalien fürchten, wenn man einen bestimmten Sender sieht, zumindest keine von staatlicher Seite. Die Repressialen, die man durch das - was dort auf der Mattscheibe läuft - ertragen muß, bleiben natürlich bestehen und werden immer schlimmer.


Bild:Colt Seavers
Noch recht gut kann ich mich an eine Sendung erinnern - ich glaube es war eine "aktuelle Schaubude" -, in der ein Familie besonders ausgefallener Menschen gezeigt wurde. Es waren Menschen, die keinen Fernseher zu Hause hatten. Socherlei Menschenschlag war mir damals fremder als zum Beispiel E.T. oder Alf der Außerirdische. Ein Leben ohne Fernseher konnte ich mir als Jugendlicher einfach nicht vorstellen. Jeden Morgen, wenn wir Schüler uns vor dem Unterreicht auf dem Schulhof versammelt haben, wurde zuallererst und hauptsächlich über das Fernsehprogramm des vergangenen Abends gesprochen. Insbesondere die endlosen amerikanischen Serien des Vorabendprogramms, mit Helden wie Colt Seavers, Captain Future &Co, wurde ausgiebig durchgesprochen. Heute kann ich mir zwar nicht mehr vorstellen, was an diesem Programm überhaupt diskussionswürdig war, aber vermutlich schuf das Programm das Gemeinschaftsgefühl einer Quasi-gemeinsamen-Erfahrung. Man mußte die Serien gesehen haben, um mitreden zu können - um dazuzugehören.

Mit Beginn des Studiums und dem Auszug aus dem elterlichen Heim war mein Fernsehkonsum bereits auf ein Minimum heruntergefahren. Der Computer - besonders Spiele - hatten die Funktion des Alleinunterhaltungsgeräts übernommen. Zudem habe ich mir bewußt keinen Fernseher für meine Studentenbude gekauft, weil ich ja Studieren wollte und die wertvolle Zeit nicht an der Mattscheibe verbringen konnte. Die ersten eineinhalb Jahre hatte ich dort nicht einmal einen Computer, um nicht vom Lösen der schwierigen Aufgaben abgelenkt zu werden. Erst als sich die Aufgaben häuften, die mit Computertechnik etwas einfach zur lösen waren, holte ich doch den Rechenknecht in meine Studierstube.

Zudem war die Kenntnis des Fernsehprogramms für die Anerkennung im studentischen Bekanntenkreis nicht mehr notwendig. Eher im Gegenteil - bewusster Verzicht auf die Beeinflussung durch die Medienkonzerne war eine halb-politische Einstellung. Ich lernte immer mehr Menschen kennen, die keinen Fernseher zu Hause hatten. Was mir vor Jahren - in der "aktuellen Schaubude" noch Fremder als Aliens vorkam - wurde langsam zur Normalität. Zugegeben, manche meiner Bekanntschaften lebten in einer WG, wo zumindest ein Mitbewohner über einen Fernseher verfügte oder manche hatten eine TV-Karte am Rechner, aber im Großen und Ganzen war Nicht-Fernsehen eine Lebensphilosophie geworden, die sich der gehobene Bildungsbürger gerne ans Revers heftete - um es mal blumig auszudrücken.

Inzwischen scheint die Kenntnis des Fernsehprogramms eher nachteilig zu sein. Vor ein paar Wochen war ich bei einem Kunden zu Gast. Am Mittagstisch mit lauter IT-Fachleuten wollte einer über das Dschungelcamp reden. Schon mit den ersten Worten deutete er an, dass ihm bewusst ist: über diese Sache wird nicht gerne gesprochen. Tatsächlich stieg auch niemand auf eine Diskussion ein.

Ich muss sagen, dass ich das Fernsehen nie vermisst habe. Der allgemein beschriebene Untergang der Fernsehkultur ist komplett an mir vorbei gegangen. Wenn nicht die Abende zufällig mit Ausgehen - hauptsächlich zum Tango - ausgefüllt sind, dann gibt es immer noch Bücher oder den Computer mit ein paar netten Spielchen. Apropos Computer: Das Videoportal Youtube weckte wieder das Interesse am Programm. Eine gute DSL-Verbindung vorausgesetzt, bieten solche Video-Websites inzwischen das, was jahrelang als interaktives Fernsehen angekündigt und angepriesen wurde, aber in dieser Form nie ernsthaft realisiert wurde. Wenn man mag, kann man sich eine stundenlange Pleiten, Pech & Pannenshow zusammenstellen, oder man sieht sich alle Ladykracher-Sketche an oder die Outtakes von Bully Herbig. Egal welches Fernsehthema - man findet unzählige kleine Videoschnipsel. Schon einige Abende habe ich auf diese Weise verbracht, indem ich mir mein eigenes Fernsehprogramm zusammengestellt habe.

Als nun neulich unter Bekannten über die Fernsehsendung "Deutschland sucht den Superstar" gesprochen wurde, musste ich zugeben, dass ich diese noch nicht gesehen hatte. Aber ich kannte diverse Pleiten beim Casting, die als Ausschnitte bei Youtube zu sehen sind - wie dieser Typ, der die Jury mit Wasser vollspritzt. Außerdem kenne ich Simon Powell, das englischsprachige Original von Dieter Bohlen, der zwar weniger beleidigend aber dafür ätzender in seinen Kommentaren ist. Was soll man sagen zu: Der Einbeinige, der den 100-Meter-Lauf gewinnen will. Das ist doch irgendwie nett!

Das wirklich bemerkenswerte an der Sache: Weil ich Simon Powell kenne, kann ich bei DSDS mitreden - und zwar ganz ohne Fernseher. Das ist doch ein wirklicher Fortschritt, oder nicht?