Geschäftsfeld 'Altruismus'

08.01.2008

Online-Communities sind nichts für mich. Nicht, weil ich prinzipiell etwas dagegen habe, sondern weil Realwelt-Communities mehr Bandbreite an Erlebnissen bieten. Trotzdem habe ich bisher zwei dieser Online-Communities ausgiebig erleben dürfen. Vor vielen Jahren (2001) hatte ich mich bei www.single.de angemeldet. Die URL sagt eigentlich alles über meine damaligen Ambitionen aus. Andererseits spielt die Verbandelung der Teilnehmer auf dieser Seite eine große Rolle. Das ist erstmal ziemlich unlogisch, wenn eine Seite die single.de heißt und Singles als Zielgruppe hat, darauf ausgerichtet ist, daß die Zielgruppe keine Singles bleiben. Andererseits garantiert die Beziehungsunfähigkeit vieler Teilnehmer die Existenz dieser und vieler anderer Single-Seiten.

Seit etwa einigen Tagen bin ich aktiv bei www.xing.com. Es ist das Business-Portal für die aufstrebenden Geschäftsleute. Der Unterschied zwischen den beiden Websites ist nicht nur von Design her markant sondern auch von den teilnehmenden Personen. Was mir bei XING als erstes auffiel, waren die vielen hübschen Profilfotos von attraktiven, jungen Frauen - eigentlich genau das, was mir bei single.de extrem unterrepräsentiert vorkam. Unter den suchenden Single-Damen zeigen nur wenige aussagekräftige Fotos. Häufig fehlt das Bild oder manche sind in schlechter Qualität (ich möchte nicht darüber spekulieren, ob die unzureichende Bildqualität der Person eher schmeichelte) und allzuoft gab es nur Grafiken oder gar alberne Komics. Nicht wenige Frauen glauben, daß sie nur mit einem tiefen Kamerablick in ihr Decolleteé Aufmerksamkeit bekommen. Bilder, die Interesse auf eine zukünftige Partnerin machen, hatten den Seltenheitswert der berühmten Heuhaufennadel - bei single.de.

Nun will ich hier nicht über Profilfotos schreiben. Angesichts meines aktuellen Beziehungsstatus begnüge ich mich sowieso mit dem Betrachen der XING-Profilfotos. Obwohl es natürlich eine interessante Fragestellung wäre, ob man die XING-gemeldeten Geschäftsfrauen zu Dates ausführen kann. Leider erfährt man bei XING nichts über deren aktuellen Beziehungsstatus. Ok, bei single.de war das nicht anders, denn die freiwilligen Angaben waren so unzuverlässig, so daß ich über diesen Weg häufig genug mehr oder minder verheiratete Frauen kennenlernte.

Nein, mein heutiges Thema sind die Diskussionsforen, welche auf solchen Community-Seiten den wirklichen Unterhaltungswert bieten. Sowohl single.de als auch XING verfügen über aktiven Foren, wo Menschen ihre leidigen, allzu persönlichen Probleme dem breiten Internet-Publikum unter die Nase reiben können. Die Frage, ob jemand wirklich etwas derart Privates öffentlich macht, stellt sich im Kommunikations-Zeitalter nicht mehr. Wer sich keinen Psychologen leisten kann (oder mag), darf seinen Problem im Online-Forum zur offenen Therapiestunden vortragen.

Von mir selbst kann ich sagen, daß ich den Erkenntnissen Spieltheorie insbesondere dem Prizip Tit-for-tat (dt. Wie du mir, so ich dir), durchaus zugeneigt bin. Deshalb bin darum bemüht allen Menschen gegenüber höflich und hilfsbereit aufzutreten und hoffe auf die passende Gegenreaktion. Gerade zu den persönlichen Fragen in den Foren biete ich allzugerne meine vollig uneigennützigen, hilfreichen Anmerkungen an, von deren Nutzwert - sofern sie entsprechend berücksichtigt werden - ich vollends überzeugt bin. Warum? Lesen sie weiter!

Leider ist es recht schwierig, die Fragesteller vom Nutzen meiner Hinweise zu überzeugen. Ein Beispiel: Ich kann mich noch gut an den jungen Mann bei single.de erinnern, der einen etwa 10-zeiligen Text in Kleinschreibung ohne jegliche Satzzeichen in einer Art fortwährender Litanei schrieb. Nach dem ersten Lesen hatte ich keinen blassen Schimmer, was er dem Publikum mitteilen wollte. Erst nach mehrmaligem Studium des Buchstabensalats ging mir die Intention des Schreibers auf: Er fühlte sich häufig unverstanden. Tatsächlich, er beschwerte ich darüber, daß ihn niemand verstehen will und das seiner Person nicht das nötige Verständnis entgegengebracht wird.

Ok, nach dieser kurzen Analyse unterbreitete ich ihm den Vorschlag, daß er sich ein bischen klarer ausdrücken könnte, sich mit Satzzeichen anfreunden sollte und auch sonst den Regeln der deutschen Sprache ein wenig widmen, einfach um sein Anliegen besser formulieren zu können. Die Reaktion war - man ahnt es bereits - alles andere als Dankbarkeit. Mir wurde vorgeworfen, daß ich mich nicht an der Rechtschreibung hochziehen, sondern an seinem Problem mitdiskutieren sollte. Mein Einwand, daß zwischen diesen Dingen ein direkter Zusammenhang besteht, wurde nicht anerkannt. Der Junge fühlte sich auch von mir unverstanden und beklagt meine Pedanterie hinsichtlich Rechtschreibung. Ich verzichtete auf die Erklärung, daß ich die Rechtschreibung gar erwähnt habe sondern für mehr Ausdrucksfähigkeit plädierte. Oder hätte er vielleicht den feinen Unterschied verstanden, wenn ich es erwähnt hätte?

An diese Episode wurde ich bei einer neulichen XING-Diskussion erinnert. Anlaß für den Disput war die Suche eines jungen Mannes nach einem Investor (mindestens 100-tausend Euro schwer), der sich an einem sicherlich nicht ganz aussichtslosen gastronomischen Geschäft beteiligen sollte. Leider passte die Ausdrucksweise des Fragestellern eher zu einer phantasielosen Syncronisation eines Migranten-Kleinkriminellen in Miami-City aus einem drittklassigen B-Movie. Wohlgemerkt: Ich behaupte nicht, daß der Fragesteller irgendwie mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist. Er klang nur so, als wäre er bereits in der Grauzone tätig, wo man üblicherweise "viel Geld für wenig Arbeit" verspricht. Der dezente Hinweis, daß er mit diesem "Schnodder-Deutsch" im deutschen Finanzwesen auf wenig Gegenliebe stoßen und schon gar keine sprudelnden Geldhahn finden wird, wurde recht barsch abgebügelt. Ich verzichtete auf jeglichen Hinweis zur Sprache. Das war mein Glück, denn der Diskussionsteilnehmer, welcher in diese Richtung argumentierte wurde sehr hart abgewatscht. Aber selbst mein vorsichtiger Hinweis, daß man potentielle Investoren mit seriösem Umgangston geneigter machen kann, wurde als "am Thema vorbei" kritisisert.

Spätenstens an dieser Stelle würde ein Helfer mit altruistischen Ambition verzweifeln und die Konvertierung zum Misantrophen beantragen. Der Altruismus scheint mir eine Branche, wo man sich als Hilfesuchender alles herausnehmen kann, dagegen der Helfende die strengen Regeln der political correctness und andere gesellschaftliche Normen buchstabengetreu beachten muß, auch wenn die Möglichkeiten der Hilfestellung dadurch bis zur Unmöglichkeit eingeschränkt werden. Zugegeben ist das die typische Kunde-König-Situation wie sie in (fast) jedem Markt herrscht. Nur ist der Altruismus alles andere als ein typisches Geschäftsfeld. Hiert steht einem Überangebot an Nachfrage ein Mangel an Angeboten gegenüber (klingt wie ein Widerspruch in sich, stimmt aber). Von der Logik her, sollte man dem Kunden "Hilfesuchender" empfehlen, den Königsnerz etwas zu lüften. Aber jemand, der von der Logik herkommt, gerät selten in die Verlegenheit, um fremde Hilfe bitten zu müssen. Womit dieses Dilemma sich selbst schließt.

Zum Glück sind mir altruistische Motive völlig fremd, da ich - wie bereits erwähnt - meine Hilfeleistungen aus dem Tit-for-tat ableite. Dieses Prinzip gibt mir auch beim Hilfesuchenden, der keine Hilfe annehmen mag, die richtige Hilfe. Ich biete ihm einfach keine Hilfe an - also nicht im Sinne, daß ihm gar keine Hilfe anbiete sondern in die Richtung daß ich ihm Hilfe anbiete, die keine ist. Tatsächlich ist das hilfreich - natürlich nicht dem Hilfesuchenden - aber mir.